Nach dem diesjährigen Abimotto: „Habi Potter 12 Jahre durchgemuggelt“ lesen Sie hier einen Ausschnitt aus der Rede des Schulleiters Frank Scholle:
…
Hogwarts ist bei richtiger Betrachtung … eher eine Art Berufskolleg, denn die dort unterrichteten Fächer sind Zauberfächer und damit zunächst einmal rein anwendungsbezogen und praktisch ausgerichtet: Zauberkunst, Zaubertränke, Verwandlung, Kräuterkunde, Abwehr magischer Kräfte, Wahrsagen usw.
Das hört sich auf den ersten Blick dann ja auch verlockend an:
Wer möchte nicht die Lottozahlen vorhersagen können,
wer würde sich nicht einmal gerne verwandeln (in eurer Mottowoche habt ihr das ja eindrucksvoll selbst nachgewiesen)
und wer von allen Anwesenden würde auch nicht gerne zaubern können ?
Und so Manchen unter euch wäre der Pottersche Zauberspruch
„Zaubermolch und Kolibrigesumm, dieses Wasser sei fortan Rum“
zumindest auf den Abifeten oder am Tag der Inoffiziellen mehr als willkommen gewesen
Dennoch produziert Hogwarts als Berufsschule mit einer an den Berufskollegs unserer realen Welt zum Glück gar nicht möglichen Beschränkung und Einengung fachlicher Bildung nur einen einzigen Menschentyp: den Zauberer.
Dieser Menschentyp kann infolgedessen auch nur in der Parallelwelt Harry Potters, der magischen Welt, unter seinesgleichen leben.
In der realen Welt würde man Personen mit einer derart verkürzten und beengten Bildungsperspektive als Fachidioten belächeln, bestenfalls zauberhafte aber eben nur in bestimmten Gesellschafts- oder Berufsnischen überlebensfähige Fachidioten.
Insofern bin ich froh, euch heute nicht das UTZ als unheimlich tolle Zauberer zu überreichen, sondern das ABI als Nachweis eurer AllgemeinbildungsIntelligenz.
Hiermit seid ihr in unserer realen Welt überlebensfähig, da ihr nicht nur spezifisches Fachwissen auf einer nur beschränkt anwendungsbezogenen Nutzungsbasis erworben, sondern gymnasiale Bildung durchlaufen habt:
auf breiter Fächergrundlage,
im Spektrum allgemeiner und auf Selbständigkeit abzielender Bildung,
also im ursprünglichen Sinne des von Wilhelm von Humboldt erfunden Gymnasiums.
Hierzu gehört eben nicht nur der Erwerb praktisch anwendbaren Wissens,
sondern das Einschätzen seiner Chancen und Risiken,
das Werturteil seines praktischen Einsatzes und letztlich
im Sinne der Wissenschaftspropädeutik, das heiß einer gezielten Vorbereitung auf universitäre Arbeitsweisen: die Fähigkeit dieses Wissen nicht nur zu reproduzieren, sondern auch selbständig weiter entwickeln zu können.
Mit diesem Rüstzeug entlassen wir euch in die Welt.
Ihr verlasst den Ort Schule, der euch acht Jahre Arbeitsplatz und Lebensraum war, dem für euch -passend zu eurem Motto- auch etwas Zauberhaftes anhaftet, vorrangig nicht, weil dieser so zauberhaft schön ist (wobei ich als Schulleiter hiervon natürlich vollkommen überzeugt bin), sondern weil er euch Möglichkeiten geboten hat, euch auf das Leben draußen -außerhalb dieses zauberhaften Abenteuerlandes- vorzubereiten:
Und dies indem eure Schule euch nicht nur Vokabeln pauken ließ, den ACI beigebracht hat, abstrakt in Formeln zu rechnen nötigte, sportliche Bestleistungen abverlangte, Wissen vermittelte und immer wieder eingefordert hat, um euch dann letztlich das verdiente Abitur verleihen zu können.
Schule war für euch in diesen acht Jahren aber auch Lebensraum:
geregelt-berechenbar und v.a. abgetrennt von der harten Überlebensrealität außerhalb,
ein Ort,
an dem ihr euch selbst ausprobieren konntet,
der euch Werte vermittelte,
euch mit den verschiedenen Lehrer- und Mitschülertypen Identifikationsangebote machte,
kurzum euch die Möglichkeit eröffnet hat, euch selbst zu finden und zu definieren.
Insofern ist es an Tagen wie heute nicht nur wichtig, Bilanz zu ziehen, welche Leistungen man erbracht hat, sondern auch, sich bewusst zu machen, als welche Persönlichkeit man die Schule verlässt.
Der weise Schulleiter von Hogwarts erläutert Harry Potter eine wichtige Erkenntnis von Schulbildung:
„Es sind nicht unsere Fähigkeiten, die zeigen, wer wir sind, sondern unsere Entscheidungen“.
In der heutigen Zeit verlässt man sich in der Bildungspolitik oft auf angeblich messbare Daten und Ergebnisse und entsprechend analysierende Vergleiche. Dies mag in vielen Bereichen auch durchaus sinnvoll sein. Dennoch täuscht diese Technokratisierung von Bildung über die zweite wichtige und eben nicht exakt messbare Aufgabe von Schule oftmals hinweg:
die Ausbildung von Persönlichkeiten, die reif sind, im Leben draußen zu bestehen.
Umso mehr habe ich mich bei der Lektüre eurer Abiturzeitung gefreut, dass einige durchaus spezielle und liebenswürdige Charaktere -wenn auch gereift- sich doch treu geblieben sind und für mich -auch wenn der Unterricht mittlerweile mehrere Jahre zurückliegt- sofort wieder nicht als UTZs, sondern als UTPs -unheimlich tolle Persönlichkeiten- erkennbar waren….
…Das Erreichen des Abiturs ist ein wichtiger Abschnitt in eurer Lern- und Arbeitsbiographie aber eben nur ein Abschnitt.
Wie eben gesagt, bin ich fest davon überzeugt, dass euch euer Marianum für die weiteren Abschnitte das nötige Rüstzeug sowohl an Wissen als auch an Persönlichkeit mitgegeben hat.
Ebenso fest bin ich davon überzeugt, dass ihr euch nicht 8 Jahre durchgemogelt, pardon -gemuggelt habt, ansonsten befändet ihr euch heute nicht in unserer Aula.
Es bleibt der Blick in die Zukunft:
In Harry Potter und der Stein der Weisen findet sich die Aussage:
„Es gibt Dinge, die man nicht gemeinsam erleben kann,
ohne dass man Freundschaften schließt“
Ich denke, dass das so auch mit 8 Jahren Schulzeit ist:
Behaltet dementsprechend euer Marianum in freundschaftlicher Erinnerung und bleibt ihm ebenso freundschaftlich verbunden.
Kommt nach der wichtigen Zeit der Abnabelung von Schule und Elternhaus, wann immer ihr könnt, immer wieder einmal vorbei in eure alte Schule.
Deshalb sage ich euch heute nicht nur „Lebt wohl“ (lateinisch „Valete !), sondern bewusst auch „auf Wiedersehen“.
Auf eurem Weg ins richtige Leben begleiten euch meine besten Wünsche und die all eurer Lehrerinnen und Lehrer !
Alles Gute
Die Bilder von der Zeugnisübergabe sind ab Dienstag, den 4.7. auf dem Lehrerrechner gespeichert.